Vientiane, Dienstag
den 6. Januar 2004
Die Lichterketten, mit den kleinen bunten Glühbirnen, haben Weihnachten
überdauert und hängen immer noch rund um die Terrasse. Bei ihrem
Licht lese ich, auch wenn eine der beiden Lichterketten einen Produktionsfehler
hat und leicht flackert. Schön sieht es aus, wie ein laotisches Restaurant,
oder ein Hotel. Bereits in der frühen Dämmerung beginnt Vientiane
zu erstrahlen. Die Dunkelheit kennt im Jahresverlauf nur eine Stunde Schwankung
und um 19 Uhr ist es dunkel, zu dieser Stunde haben die Lichterketten ihre
ganze Pracht entfaltet.
In Vientiane leuchten sie das ganze Jahr über, meist mit weißem
Licht, im Vorbeifahren sieht es flüchtig wie Sterne auf der Erde aus.
Immer schöner werden die Figuren, vielleicht habe ich mich in den
Jahren einfach nur daran gewöhnt. Nur schwach erinnere ich mich daran,
dass ich diese Lichterketten am Anfang kitschig fand – nun inzwischen habe
ich selbst zwei, ja schlimmer noch: Bunte Lichterketten und ich denke sie
werden auch noch eine Weile bleiben wo sie sind.
Vom Nationalfeiertag, am 2. Dezember, ist die Festbeleuchtung ebenfalls
hängen geblieben. Vom Präsidentenpalast bis zum Anusavarie, dem
laotischen Triumphbogen, bis hin zum That Luang dem Nationaldenkmal, wie
es gern bezeichnet wird, hängen die bunten Girlanden, links und rechts
die Straßen entlang. Der Anusavarie und das That Luang erstrahlen
in ihren Konturen wie Gebilde aus Licht und nicht aus Stein und Beton.
Ich kann mich nicht erwehren, es sieht märchenhaft aus.
Vientiane, Mittwoch
den 7. Januar 2004
Es ist ein Uhr vorbei. Ich stehe auf dem Weg vor dem Haus. Die Hunde
haben das angelehnte Tor geöffnet und sind, trotz des Vollmondes,
nicht im Gestrüpp des Nachbarn zu sehen. Ich mag die Stille nicht
stören und rufe nicht nach ihnen.
Von weit höre ich Hundegebell, Leslie ist die mutigste der Hündinnen
und ich nehme an, dass sie sich soweit vorgewagt hat und jetzt fremde Reviere
besucht. Seltsamerweise scheint Lisa sie begleitet zu haben, Lisa die Jüngste
in der Runde, die schreckhafteste und häuslichste. Blacky ist im Gestrüpp
und kommt zu mir. Wir schauen den Weg hinauf, der durch die Bäume
wie ein Tunnel, sich zur Querstraße hin öffnet und einen gerahmten
Ausschnitt auf die Mauer der Pagode frei gibt.
In diesem Tunnel ist immer noch der Rauch und Staub des Tages gefangen,
wüsste ich es nicht besser würde ich es für Nebel halten.
Ich ziehe meine Strickjacke enger um mich. Es ist schön hier draußen
zu stehen, fast wie der einzige Mensch in der Weite der Nacht. Lisa freut
sich mich vor dem Tor zu sehen und kommt aus dem Baumtunnel auf mich zu
gerannt. Zu Dritt gehen wir auf die Terrasse, jede auf ihren Platz.
Ich schlage mein Buch wieder auf, aus Erfahrung weiss ich, dass Leslie
noch eine Weile auf sich warten lassen wird. Ich denke kurz darüber
nach, das Tor abzuschließen und schlafen zu gehen.
Auf meiner geistigen Leinwand sehe ich Leslie vor dem Tor liegen, den
ganzen Rest der Nacht.
Ich hefte meine Augen, auf die erste Zeile im aufgeschlagenen Buch
und füge mich.
Mit einem Ohr bin ich am Tor.Irgendwann höre ich sie gegen das
Tor stupsen und lasse sie rein.
Vientiane, Freitag
den 16. Januar 2004
Reisen auf laotischen Straßen ist stets ein Abenteuer, man weiß
nie wem man unterwegs begegnen wird. Wie der Zustand der Straßen
und Brücken sein wird. In der Regenzeit kommt noch hinzu, dass die
roten Pistenstraßen so durchgewalkt sind, von den Überlandlastwagen,
das ein Loch, oder ein Meter teigiger Piste, der Fahrt ein Ende setzen
können. Jetzt in der Trockenzeit sind selbst die Pistenstraßen
betonhart und flach gewalzt.
Als Viengsavanh im Dezember nach Savannakhet fuhr, traf er Des und
Debbie aus Yorkshire. Seit Juli sind die Beiden unterwegs mit dem Fahrrad.
Sie haben sich eine Tagesdistanz gesetzt, die sie gut schaffen können,
an jedem Tag 100 Kilometer. Anfang Dezember kamen sie mit ihren Fahrrädern
am Watthai Flughafen, in Vientiane, an.
Gleich bei ihrer Ankunft erregten sie freundliches Interesse. Es geschieht
nicht oft, dass Laosreisende mit ihren Fahrrädern ankommen.
Seit ihrer Ankunft sind sie viele Kilometer im Sattel gesessen und
wurden überall mit großer Freundlichkeit empfangen.
In Siphandone, Provinz Champassak, haben sie einige Tage Pause gemacht,
danach wollten sie weiter nach Kambodscha.
Heute denke ich wieder an sie und frage mich wo sie jetzt wohl sein
mögen. Viengsavanh erzählten sie, das es nach Kambodscha, weiter
nach Thailand, Malaysia, und Singapur, gehen soll.
Vientiane, Montag
den 19. Januar 2004
Nur ein Augenblick im verrinnen der Zeit:
Eine Hand am Lenker, die Haare flattern als Fahne hinter ihr her. Die
Göb sei lin (wörtl.: Schuhe mit spielen), in Deutschland waren
sie im letzten Sommer als Flip-Flop bekannt, nach dem Geräusch das
sie beim Gehen erzeugen, die Göb sei lin, wie die Laoten sie nennen,
links und rechts auf den Pedalen, der Honda Dream. Wie hingehaucht sieht
sie aus, als müsste sie zusammen mit den Haaren, im Fahrtwind flattern.
Mit sechzig Stundenkilometern überholt sie mich.
Vientiane, Dienstag
den 20. Januar 2004
Lany erzählt mir eine Geschichte aus ihrem Dorf, von einem Liebespaar,
dass die Eltern des jungen Mannes auseinander brachte. Eine Geschichte
wie aus einem der vielen laotischen Schlager, doch diese ist wahr, so wie
die Geschichten aus den Schlagern sicher auch einmal wahr waren.
Duang Düan, ein hübsches Mädchen mit lustigen Augen,
war in der Gruppe der Mädchen aus ihrer Klasse eher unauffällig
und still. Als ihre Schulzeit vorüber war, half sie ihrer Mutter in
der Nudelküche.
Sugsa Wei, hatte ein eigene Honda Dream und zusammen mit Duang Düan
fuhr er zum Wasserfall, so oft sie Zeit fanden. Sie malten sich ihre Zukunft
aus und ein oder zwei Mal schliefen sie miteinander. Duang Düan wurde
schwanger und Sugsa Wei versprach sie zu heiraten, doch seine Eltern lehnten
Duang Düan als Braut ab.
Beide Familien und der Dorfchef, setzten sich zusammen und redeten.
Kha tham kuan, bedeutet die Erinnerung wieder gesund zu machen und das
Herz leicht. Eine laotische Tradition. Sugsa Wei will immer noch
heiraten, aber darüber lassen seine Eltern nicht mit sich reden. Es
geht hin und her zwischen den beiden Eltern, ab und an greift der Dorfchef,
der seine Rolle nur als Zeuge versteht, ein und das Gespräch wird
ruhiger.
Die Familie von Sugsa Wei wird 1.500.000 Kip an Duang Düan zahlen,
um ihre Seele zu heilen.
150 USD, dass ist sehr viel Geld in Laos. Eine gute Näherin geht
dafür sechs Monate lang arbeiten, von Montag bis Samstag, 10 Stunden
täglich.
Es gibt ein laotisches Gesetz das die Unterhaltungszahlung des Vaters
vorsieht, bis das Kind herangewachsen ist und sich selbst versorgen kann,
also erwachsen ist. Einer Mutter nützt dieses Wissen jedoch wenig,
wenn sie es überhaupt weiß. Sie macht sich auf Bittgänge,
wenn außergewöhnliche Zahlungen anfallen. Etwa eine schwere
Krankheit des Kindes, oder der Schulbeginn, wenn eine Schuluniform, Bücher
und Hefte gekauft werden müssen. Sie hofft darauf, dass der Vater
ihres Kindes ihr etwas gibt. Tut er es nicht, geht sie schweren Herzens
wieder nach Hause.
Vielleicht redet sie über den schlechten Mann mit den Ihren, doch
mehr wird sie nicht unternehmen.
Was aus Duang Düan und Sugsa Wei geworden ist, weiß Lany
nicht.
Sicher ist nur, dass sie sich nicht über den Willen der Eltern
hinaus gewagt haben.
Ihr Baby könnte jetzt vier Monate alt sein.
Vientiane, Freitag
den 23. Januar 2004
Wer würde es wirklich glauben, dass man auf Gummibärchen so
versessen sein kann, dass man sich drei Kilo nach Vientiane, in den Phim
Phone Supermarkt liefern lässt?
Man muss vielleicht ein wenig mehr wissen:
Phim Phone Supermarkt, dass hört sich großartig an und für
Vientiane ist es auch absolut großartig. Es gibt sogar fünf
Einkaufswagen, nicht das ein Einkaufswagen zu den Dingen gehört, die
man vermissen mag, wenn man lange fern von Deutschland ist. Nur die plötzliche
Anwesenheit eines Einkaufswagens, macht einem die Abwesenheit erst bewusst.
Nicht gerade das was man Vermissen nennt!
Phim Phone ist so etwas wie eine Schatztruhe des Gaumen, ein Food-Museum,
ein zu Hause der kleinen Dinge, beinahe ein europäischer Delikatessen-Laden,
ein Ort der Begegnung mit einkaufenden Menschen – staunenden, wählenden
Menschen, fast beschenkt.
Meine Beschreibung weißt Mängel auf.
Doch wenn ich Haribo nicht schreibe, wozu dann Ehrmann, Milka, Pumpernickel
und co co co?
Nicht größer als ein Tante Emma Laden, die letztere der
ausgestorbenen Varianten, in denen sich der Kunde schon selbst bedienen
konnte und zwischen den dicht beieinander stehenden Regalen seinen Weg
zur Kasse fand. Na ja – noch etwas großzügiger, jedoch nicht
so groß, wie der kleinste Supermarkt in Deutschland.
Zurück zu den Gummibärchen: Sie sind für einen Freund,
der in Thailand lebt und ich werde sie über die Grenze fahren und
in Thailand per Post zu ihm schicken. Erst bei ihm angekommen, ist ihre
Reise zu Ende, Vientiane ist nur Zwischenstop.
Vientiane, Sonntag
den 25. Januar 2004
Eigentlich ist es zu kalt um auf der Terrasse zu frühstücken.
Eine dicke Strickjacke und ein paar Socken und ich fühle die Kälte
nicht mehr. Es geht kein Wind und der Kaffee erreicht schneller, als sonst
im Jahr, Trinktemperatur.
Nur ein paar Eier fehlen noch.
Ich gehe hinüber zu Kamhu. Ihre Familie züchtet vor allem
Gänse und mindestens einmal am Tag sind sie vor meinem Tor, um ihre
Jungen vorzuführen so scheint es mir. Sie machen viel Geschrei, wenn
ich mit dem Auto, oder dem Moped nach Hause komme.
Kamhus Familie hat aber auch zwei Kühe, Enten und Hühner.
Kamhus Mutter lächelt mich an, ihre Zähne sind vom Betelkauen
braun geworden, sie sehen aus wie geschliffen und ich wundere mich darüber
es noch nie bemerkt zu haben.
Ihren Augen ist anzusehen, dass sie ihr Leben lang gerne gelacht hat.
Ich mag sie, auch wenn wir nicht viel miteinander reden. Eier hat sie keine,
sie sind alle tot.
Die Eier sind tot – es dauert eine Weile bis ich sie verstehe: Die
Hühner sind tot!
Alle! Ich weiß, von Kai Kham, dass es in der Ladu Nau (wörtl.:
Jahreszeit kalt) immer schwierig ist, die Hühner am Leben zu halten.
Er hat jedes Jahr Medizin beim Tierarzt gekauft, doch weil sie teuer war,
hat er sie nur seinen Lieblingshähnen gegeben. Einige haben die Ladu
Nau dann auch überlebt.
Vom Hühnersterben meiner Nachbarn habe ich nichts bemerkt.
25 sind gestorben.
Kein einziges Huhn hat überlebt!
Beim Frühstück denke ich an Avian Influenza (bird flu). In
Thailand und Vietnam hat sich die Krankheit verbreitet.
Vientiane, Mittwoch
den 28. Januar 2004
Jeden Abend, eine Stunde bevor es dunkel wird, schiebt Bounvan ihren
Holzkarren zum kleinen Markt, gegenüber einer der Nähereien,
von Bahn Nak Neu (wörtl.: Dorf Drache klein). Sie hat keinen Gemüsegarten
und verkauft Ranken, die sie in der Umgebung ihres Dorfes findet. Wenn
das Geschäft am Vortag gut lief, dann hat sie auch Geld genug, um
Gurken und Chinakohl zu kaufen, den sie dann für einen geringen Aufpreis,
weiter verkauft.
Wenn ich sie treffe schaue ich immer auf ihren Karren um zu sehen,
ob der Vortag ein guter Tag für sie war. Heute hat sie nur Gemüse,
das sie selbst gesucht hat. Große Blätter, mit rötlichen
Stielen, die am Rand der Lotusteiche wachsen. Einen großen Korb,
mit Kau Niau (Klebreis), den sie zu Hause gedünstet hat. Er ist noch
warm und ich kaufe zwei Hände voll, für 1.000 Kip (etwa 8 cent).
Mit einer übergestülpten Plastiktüte greift sie in den Korb
und wendet sie geschickt, dann verknotete sie die Enden und ich fühle
die Wärme in meiner Hand.
Wir reden nicht viel, was soll ich auch sagen?
Vientiane, Freitag
den 30. Januar 2004
Noch ist der Deckenventilator vom Staub der Straße bedeckt, die
Blätter haben in den letzten beiden Monaten still gestanden. Die Lichterketten
aus den Weihnachtstagen hüllt mich in ein unwirkliches Licht. Seit
zwei Tagen sind in der Nacht die Grillen zuhören und die kalten Tage
sind zählbar geworden. Meine Mangobäume blühen und wenn
sie ihr Versprechen halten, dann werde ich viele Mangos haben in diesem
Jahr.
Vielleicht noch eine Woche, bis sich der Deckenventilator wieder dreht,
über der Terrasse. Ich mag noch nicht Abschied nehmen von der Kühle,
doch ich habe keine Wahl. Innerlich bereite ich mich vor, auf die heißen
Tage und den Staub, der mein Gesicht wie ein feine Patina überzieht
und klebt.
Die Hunde haben ihre warmen Bodenmatten schon letzte Woche verlassen
und schlafen auf den Stühlen, rund um meinen Tisch.
Kamla, Nachtwächter und Gärtner, wird seine warme Decke sicher
auch bald gegen eine Kühlere eintauschen.
Wir alle bereiten uns vor, auf die Hitze und den Staub, der unter die
Kleider kriecht.
In Luang Prabang war es diese Tage noch deutlich kühler als in
Vientiane.
Vielleicht ist einem Flughafenangestellten die Wollmütze, am letzten
Mittwoch, etwas zu sehr über die Augen gerutscht.